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Der geschenkte G.A.U.:

Mehr als renovierungsbedürftig – optimal
als Lehrlings-Projekt: Lenard Floetemeyer bringt einen
rund 50 Jahre alten Jollenkreuzer auf Vordermann.

Unter der Plane wartete der Größte anzunehmende Unfall. „In meiner Erinnerung war das Boot noch in einem ganz vernünftigen Zustand”, erzählt Bootsbauer Axel Weißenberger, Inhaber der Werft AW-Marine in Öhningen. Weil sein Auszubildender Lenard Floetemeyer noch ein Feierabend-Projekt haben wollte, machte er ihm den Jollenkreuzer kurzerhand zum Geschenk. „Das klingt richtig lieb, aber eigentlich hätte ich Geld dafür nehmen sollen”, witzelt Lenard, und beide lachen.

Die Jollenkreuzer hatte man einst als günstig zu bauende und leicht zu beherrschende Boote für den Mittelstand konzipiert. Mit ihren aufholbaren Stahlschwertern, die die Abdrift beim Segeln reduzieren sollten, waren sie vergleichsweise leicht zu trailern. Lenards Boot ist durch seine Breite und das schwere Stahlschwert sehr formstabil und kann nicht so leicht krängen und kentern.

„Ein Pfuhl endloser Überraschungen“. Den Jollenkreuzer aus den frühen Sechzigern hatte Axel vor Jahren für sich selbst gekauft, aber nicht die Zeit gefunden, ihn herzurichten. Seitdem hatte es durch die wohl undichte Plane auf das Boot geseicht, sodass es sich als Megabaustelle erwies. Lenard zeigt auf dem Handy ein paar Fotos. Im Bilgenbereich steht Wasser, Spanten, Kiel, Bodenwrangen und die unteren Planken sind gefault, und ob die Kajüte noch zu retten ist, scheint fraglich. Axel sieht es positiv: „Lenard macht jetzt seine ganze Ausbildung an diesem Boot, und er ist sehr fit.“

Der Anspruch von AW-Marine ist es, alles, was geht, zu erhalten. „Aber dann muss man eben alles anfassen“, erklärt Axel, während er mit dem Hobel den alten Kiel bearbeitet. „Es bleibt zwar Substanz im Boot, aber überall werden die unteren 20 Zentimeter ausgebaut, angeschäftet, wieder eingeklebt und verschraubt.“ Das Alte zu erhalten macht den Aufwand.

Alle Vorteile eines modernen Bootes. Wenn Kunden eine traditionelle Renovierung für ihr Boot wünschen, dann machen Axel und seine Jungs das. Sie formen die neuen Spanten im Dampfkasten und nieten neue Planken wieder an. Moderne Verfahren mit Lamellen, Klebern, Glasfaserverstärkung und Epoxidharz-Laminat sind nicht schneller und billiger. Aber die Kostenersparnis kommt später: Die Festigkeit des Rumpfs ist höher, die Wartungsintervalle sind wesentlich länger. Ein Holz-Epoxi-Komposit-Rumpf könne bei richtiger Pflege kaum ermüden, versichert Axel.

Zudem kann man das Boot leichter bauen, sodass es schneller ist oder mehr Zuladung erlaubt. „Das Holzboot bleibt ein Holzboot. Jedes Bauteil funktioniert wie vorher. Haptik und Optik sind wie gehabt, das Segeln fühlt sich gleich an“, erklärt Axel. „Aber du bekommst für die Hälfte der Kosten eines neuen Bootes quasi einen Neuzustand – und das gute Gefühl, das alte Boot erhalten zu haben.“

Wir steigen die Treppe zur Galerie über der Werkstatt hinauf, nehmen in der Küche Platz und überblicken von hier aus die Halle. Durch die hohen Fenster fällt Licht in die Werft, an der Wand gegenüber ein sauber sortiertes Regalsystem mit Fächern für viele Kunststoffkisten, eine Arbeitsplatte, unter uns an der Stirnseite die Werkstatt mit zahllosen Werkzeugen – Akkuschrauber, Winkelschleifer, diverse Schleifmaschinen und Tischmaschinen, Abrichter-Dickenhobel, Bandsäge, Tischkreissäge, Hobel, Japan- Sägen und vieles mehr. „Eine Langbandschleifmaschine wäre manchmal schön – oder ein Kantenbandschleifer“, sinniert Axel.

„Der Fachkräftemangel trifft auch uns.“ Lenard, dem man die Leidenschaft für den Bootsbau sofort anmerkt, erzählt beim Kaffee, wie er als Sprössling einer Bootsbauerfamilie seit früher Kindheit viel von dem Handwerk mitbekommen hat. Wie er regelmäßig mehrere Wochen in der Berufsschule in Travemünde verbringt. Und was er nach der Ausbildung vorhat: „Ich muss auf jeden Fall bleiben, bis das Boot fertig ist.“ Axel lacht amüsiert. „Dann werd ich bestimmt mal eine Zeitlang ins Ausland gehen, als Bootsbauer kannst du überall auf der Welt arbeiten, aber das hier wird mein Heimathafen bleiben.“ Axel kann das nur recht sein. „Ich würde ja gerne einen Gesellen einstellen, aber der Fachkräftemangel trifft auch uns. Es ist schwierig.“

Von Lenards Vater hat Axel die Werft vor Jahren übernommen. Nach Wirtschaftsabitur, Bootsbauer-Ausbildung und der Arbeit als Anwendungstechniker bei einem Großhandel für Bootsbaumaterial. Der 54-Jährige liebt das warme, angenehme, gut bearbeitbare Material Holz mit seinem schönen Ton und dem fantastischen Verhältnis von Dauerfestigkeit und Gewicht. Es reizt ihn, dass alles an einem Boot krumm ist, dass es nichts Gerades gibt, dass kein Boot wirklich symmetrisch ist, dass man jedes Teil an das Boot, an den Rumpf anpassen muss. Und er liebt die große Freiheit des Bootsbauers, Probleme auf kreative Art mit Holz, Kunststoff und Metall lösen zu können. Weil es kaum jemanden gebe, der einem was vorschreibt.

In diesem Gewerk mache es jeder auf seine eigene Art. Lenard nickt: „Jeder, den ich frage, erzählt mir etwas, und ich als Azubi kann aus all diesen Wegen meinen eigenen finden.“ Es gibt einen schönen Bootsbauer-Spruch, eine Art Running Gag, schmunzelt Axel. Man steht an der Baustelle und beschreibt anderen Bootsbauern, wie man vorgehen will, und dann sagt einer: „Ich hätt’s anders gemacht.“

Fertigungstiefe von knapp 100 Prozent. Und was macht Lenard an seinem betagten Jollenkreuzer? Wir stehen wieder unten in der Werft. Das Boot ist kieloben auf einem Anhänger in der Werft fixiert. Die gefaulten Teile hat Lenard schon erneuert. „Das waren meine Weihnachtsfeiertage letztes Jahr“, erzählt der 20-Jährige und startet den Exzenterschleifer, um die neuen Planken zu bearbeiten. Als Nächstes kommt als Schutz vor Feuchtigkeit das Laminat an die Beplankung. Dann wird Lenard innen alles rauslackieren, den neuen Innenausbau angehen und einen neuen Schwertkasten einsetzen. „Mit Schwenkschwert, um die Lateralfläche zu vergrößern und Abdrift zu verringern“, erklärt er ebenso beiläufig wie sachkundig.

Die Kajüte hat er komplett runtergeschnitten, um später eine neue zu bauen. „Das Deck kommt auch noch runter und wird neu gemacht.“ Und dann folgen die aufwändigen Beschichtungsarbeiten, die mindestens 30 Prozent der gesamten Arbeitszeit ausmachen. Ein bis anderthalb Jahre werde er wohl noch brauchen. Immerhin wird die Außenhaut zu 80 bis 90 Prozent original bleiben. Und Lenard ist zuversichtlich, auch Decksbalken und Mast erhalten zu können.

Axel ist sichtlich stolz auf seinen Auszubildenden. Und überhaupt auf seine Zunft. „Wir machen Schlosserarbeiten, Holzarbeiten und Lackierarbeiten, die können andere meistens besser. Aber nur Bootsbauer können etwas bauen, das den Anforderungen an Struktur, Hydrodynamik, Ergonomie und die Beständigkeit unter den Bedingungen da draußen gerecht wird. Das ist unsere Spezialität.“

Und als wolle er das ein bisschen relativieren, fügt er hinzu: „Der Bootsbauer kann alles, aber nichts richtig.“ Ob das nicht ein bisschen Understatement ist, frage ich. „Mag sein Aber das findet der Kunde dann selber raus.“